Tischtennis
Alle Kinder gut erzogen
17. April 2020
VfL-Trainerin Yulia Andryan im Rheinpfalz-Portrait
In einem ausführlichen Bericht stellt die Rheinpfalz die Trainerin und Spielerin vom VfL Duttweiler vor:
Seit Beginn der Anfang April vorzeitig wegen der Corona-Krise beendeten Tischtennis-Saison schlägt Yulia Andryan für den VfL Duttweiler auf. Den Damen hat sie mit ihren Siegen zur Bezirksliga-Meisterschaft verholfen. Auch das VfL-Herrenteam, das nach dem frühen Ende der Spielzeit als Tabellenerster der Bezirksliga in die 2. Pfalzliga Ost aufsteigt, profitierte von der Spielstärke der früheren armenischen Nationalspielerin. Um nach Duttweiler zu kommen, bietet ihr der VfL einen Chauffeurdienst an.
„Yulia ist für uns ein echter Glücksfall. Nicht nur als Spielerin, sondern auch durch ihr großes Engagement beim Training mit unserem Nachwuchs. Alle profitieren von ihrer Erfahrung, ihren spielerischen Qualitäten und ihrem taktischen Verständnis“, lobt Abteilungsleiter Helmut Braun sie. Gerade was junge Spielerinnen und Spieler angeht, will sie beim VfL noch etwas bewegen. So schwebt ihr eine Trainingsgruppe vor, bei der sie schon Sechsjährigen das Spiel mit dem kleinen Ball näherbringen will.
„Ich denke, dass auch schon Kinder in diesem Alter Tischtennis spielen können, auch wenn sie vielleicht gerade mal so über die Platte schauen können“, überlegt die 46-Jährige. Dieses Problem lässt sich mit höhenverstellbaren Tische recht leicht lösen. Wann sie allerdings ihr Vorhaben in die Tat umsetzen kann, steht derzeit – coronabedingt – in den Sternen.
Zur Welt kam Yulia Andryan in der aserbaidschanischen Hauptstadt Baku. Dort hat sie mit neun Jahren angefangen, Tischtennis zu spielen. Eine Nachbarin, die selbst Trainerin war, erkannte ihr Talent und förderte sie. Mit 13 Jahren war sie unter Berücksichtigung einer speziellen Punktetabelle, auch im Vergleich zu älteren Jugendlichen, die beste Spielerin in der ganzen Sowjetunion. Als sie 14 war, musste die Familie wegen des Konfliktes um die Region Bergkarabach nach Armenien flüchten. Ihr mittlerweile verstorbener armenischer Vater stammte aus Bergkarabach. Auch ihre Mutter, die heute in den Niederlanden lebt, ist Armenierin.
1993 zum ersten Mal bei einer WMIhre Qualitäten am grünen Tisch hat Yulia Andryan bei jeweils drei Welt- und Europameisterschaften gezeigt. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion gehörte sie der armenischen Nationalmannschaft an und bestritt mit dieser 1993 ihre erste Weltmeisterschaft im schwedischen Göteborg. Mit dem Team kam sie damals auf den 19. Platz. Bei der Europameisterschaft 1994 im englischen Birmingham fiel sie einigen Funktionären auf, die die damals 20-Jährige als Profi nach Italien lotsten.
Insgesamt 22 Jahre verbrachte sie dort, spielte in Sizilien und Sardinien, unter anderem für ASD Quattro Mori Cagliari in der Ersten Liga. Im norditalienischen Aostatal war sie als Trainerin in Schulen tätig und brachte ihre Kenntnisse als Diplom-Sportlehrerin sehr gut ein. Um die für das Diplom nötige Prüfung abzulegen, kehrte sie 2002 noch einmal kurz nach Armenien zurück. Andryan bedauert, dass ihr Diplom in Deutschland nicht anerkannt wird, ergäben sich damit für sie beruflich sehr viel bessere Perspektiven. Zumindest halbtags würde sie gerne arbeiten, möglichst im sportlichen Bereich in Kindergärten oder Schulen. „Ich habe schon immer gerne mit Kindern gespielt und tue es bis heute. Sie sind unsere Zukunft, gerade auch im Sport. Mache ich meine Arbeit gut, dann spielen auch die Kinder gut!“, stellt sie fest.
2016 kam sie mit ihrem Mann nach Speyer, als es diesen beruflich in die Domstadt verschlug, nachdem er zuvor im sizilianischen Messina gearbeitet hatte. Als sie bei einem Spaziergang an der Halle des TSV Speyer vorbeikamen, sahen sie, dass dort Tischtennis gespielt wurde. Ihr Mann erzählte den Anwesenden, wie gut seine Frau spielen könne. Und so stieg sie nach zehn Jahren wieder ins Spielgeschehen ein. 2006 hatte sie ihre aktive Karriere in Italien unterbrochen, coachte aber weiterhin in den höchsten Spielklassen des Landes. Der schöne Grund für ihre Pause war die Geburt des gemeinsamen Sohnes. „Im März und April habe ich damals noch regelmäßig gespielt, im August kam er dann zur Welt“, erzählt sie. Der heute 14-jährige kann zwar, wie auch sein Vater, Tischtennis spielen, doch in einem Verein wollen sie nicht aktiv werden.
Als Yulia Andryan beim TSV anfing, wollte sie eigentlich nicht im Herrenteam spielen, half dann aber doch immer wieder aus, blieb die ganze Saison ungeschlagen und war Mitgarant für den Aufstieg in die Bezirksklasse.
Grund ihres Wechsels nach Duttweiler war die Tatsache, dass es im Gegensatz zum TSV hier ein Frauenteam gibt, ein zudem sehr ambitioniertes. Hier kann die 46-Jährige aktiv mitspielen und den durchweg noch sehr jungen Spielerinnen mit Rat und Tat zur Seite stehen. „Tischtennis ist sehr wichtig für Kinder und Erwachsene, bringt Konzentration, Disziplin, Koordination, Reaktionsvermögen und hält einfach fit“, erklärt sie ihre Faszination.
Obwohl sie in Duttweiler spielt, ist sie noch für den TSV Speyer als Trainerin im Einsatz. Bevor das Coronavirus sich ausgebreitet hatte, war sie montags und donnerstags in die Halle, die unweit ihrer Wohnung in der Ludwig-Uhland-Straße liegt, gegangen. Mittwochs und freitags stand die Fahrt nach Duttweiler an, wo sie sich für jeweils rund vier Stunden engagiert hat. Das Logistische ist nicht immer einfach zu regeln, da die Familie nur ein Auto hat und ihr Mann dieses meist braucht, um zur Arbeit zu fahren. Der VfL-Fahrdienst funktioniert aber gut: So wird sie oft von Aktiven von und nach Speyer chauffiert.
Deutsch übers Zuhören gelernt„Ich mag Deutschland und die Leute hier, die mir stets freundlich begegnen“, erzählt sie. „Alle sind gut erzogen“, sagt sie über die Kinder in ihren Trainingsgruppen. „Sie respektieren mich, auch wenn mein Deutsch noch nicht so gut ist, weil sie meine Arbeit als Trainerin anerkennen!“ Was ihre Sprachkenntnisse angeht, stellt sie dabei ihr Licht unter den Scheffel. Wenn man bedenkt, dass sie erst 2016 nach Deutschland gekommen ist und sich die Sprache praktisch nur übers Zuhören angeeignet hat, gebührt ihr größter Respekt, wie gut sie das Deutsche schon beherrscht. Dennoch besucht sie einen Deutschsprachkurs. Die Frage nach einer geplanten Rückkehr nach Armenien stellt sich derzeit nicht. „Gerade unser Sohn, der sich zu einem sehr guten Schüler entwickelt hat, gibt es langfristig hier sehr viel bessere Perspektiven als in unserer alten Heimat.“
Pressespiegel
Rheinpfalz, 17. April 2020
Die Dame, vor der auch mancher Herr zittert